Das Wort „Fehler“ kommt in Merkels Buch 27 Mal vor - zwei Stellen sind entscheidend (2024)

In ihren Memoiren„Freiheit“wirft Angela Merkel einen umfassenden Blick auf ihr Leben. Das Wort „Fehler“ fällt dabei 27 Mal – doch nur selten bezieht sie es auf sich selbst. Bei den wirklich großen Kontroversen ihrer Amtszeit bleibt sie auffällig zurückhaltend – oder schweigt ganz.

Lange wurden sie erwartet: die Merkel-Memoiren . Auf gut 700 Seiten schildert Alt-Kanzlerin Angela Merkel in ihrer Autobiografie „Freiheit“ ihr Leben. Von ihrer Kindheit in der DDR über die Wendezeit und ihren Aufstieg in Bonn und der CDU bis hin zu den ersten zehn Jahren als Kanzlerin, geprägt von Finanz- und Eurokrisen, den ersten Aggressionen Russlands gegen die Ukraine und der Flüchtlingskrise.

Merkel nimmt in ihrem Buch Kanzler-Vorgänger ins Visier

Auffällig: von eigenen Irrtümern oder gar Fehlern ist in Merkels mächtigem Werk eher wenig zu lesen. Dabei erklärt Merkel im Prolog des Buches, sie habe sich mich um „aufrichtige Selbstreflexion“ bemüht. Die Ex-Kanzlerin verspricht: „Heute als falsch Eingeschätztes werde ich benennen, für richtig Gehaltenes verteidigen.“

Zwar kommt das Wort „Fehler“ immerhin rund 27-mal vor – nur selten meint es jedoch ihre eigenen. Auf Seite 293 etwa rückt Merkel ihren Vorgänger Gerhard Schröder ins Visier. Der habe in seiner ersten Amtszeit den demografischen Faktor abgeschafft – eine Reform, die CDU, CSU und FDP eingeführt hatten, um die Rentenanpassung an die Altersstruktur der Gesellschaft zu koppeln.

Später musste Schröder seinen Kurs korrigieren und einen Nachhaltigkeitsfaktor einführen, um die steigenden Beitragssätze zu bremsen. Merkels Fazit: „Revidiere nie ohne Not harte und unpopuläre, aber unumgängliche Reformen deiner Vorgänger“.

Auch Schröders Entscheidung, die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu unterstützen, habe sie immer für einen Fehler gehalten – genauso wie zum Beispiel Putin zu unterschätzen, oder (nach anfänglichem Zweifel) die Invasion des Iraks.

Merkels „Fehler“: Zu wenig Urlaub

Merkels eigene Fehltritte –sie sind in dem Buch rar gesät. Und wenn sie erwähnt werden, haben sie oft keine große Tragweite. So erzählt sie beispielsweise, wie sie im Jahr 1996 auf einem CDU-Kreisparteitag die Risiken radioaktiver Strahlung aus Castor-Behältern mit Backpulver verglich, das beim Kuchenbacken danebengeht: „Der Kuchen gelingt immer noch.“ Das Ergebnis? Empörte Umweltverbände. „Es war ein schweres Versäumnis, diesen Fehler nicht umgehend einzugestehen“, schreibt sie heute.

Dann schildert sie einen Umstand, den sie wohl keinem frisch gebackenen Kanzlerkandidaten empfehlen würde: zu wenig Urlaub. Inmitten ihres ersten Wahlkampfs 2005, als alles auf „höchster Drehzahl“ lief, hatte Merkel demnach schlichtweg vergessen, sich selbst eine Pause zu gönnen. Das führte zu einem kleinen Ausrutscher: „Das Ende vom Lied war, dass ich in einem Interview sogar brutto und netto verwechselte“, schreibt die heute 70-Jährige.

Etwas ernsthafter wird es immerhin, wenn die ehemalige CDU-Politikerin ihre anfängliche Haltung zum Irakkrieg reflektiert. Während Gerhard Schröder 2003 mit seinem klaren Nein innenpolitischen Boden gutmachte, suchte sie als Oppositionsführerin die internationale Bühne.

Nur zwei Fehltritte beziehen sich auf Merkels Kanzler-Zeit

In der„Washington Post“veröffentlichte sie einen Gastbeitrag mit dem Titel Schroeder Doesn’t Speak for All Germans. Die Kernbotschaft: Deutschland solle in der Europäischen Union seine Stärke und seinen Einfluss auch in Konfliktsituationen partnerschaftlich und nicht konfrontativ einbringen – ein Fehler, wie die Ex-Kanzlerin heute eingesteht: „Differenzen zwischen Regierung und Opposition waren und sind innenpolitisch auszutragen.“

Auffällig: Merkel bezeichnet hier nicht ihre Unterstützung für den Irakkrieg als Fehler – auch wenn sie die Invasion inzwischen für falsch hält. Sie kritisiert lediglich die Art und Weise, wie sie ihre Auffassung damals kommuniziert hat.

In ihren Memoiren befinden sich nur zwei größere Fehltritte, die sich überhaupt auf ihre Amtszeit als Kanzlerin beziehen:

Zum einen ist da eine unglückliche Formulierung 2008 in Hinblick auf die Finanzkrise: Auf dem CDU-Bundesparteitag, versuchte Merkel, die Ablehnung der Konjunkturprogramme ihrer Partei mit einer Volksweisheit zu entschärfen: „Man hätte hier in Stuttgart einfach nur eine schwäbische Hausfrau fragen sollen. Sie hätte uns gesagt: Man kann nicht auf Dauer über seine Verhältnisse leben. Das ist der Kern der Krise.“

Rückblickend wirkten diese Worte für die ehemalige CDU-Politikerin „provinziell wie wohlfeil“, sie reflektiert: „Es klappt so gut wie nie, aus einer misslichen Situation noch Kapital schlagen zu wollen, gleichsam aus der Not eine Tugend zu machen.“

Chaos um Osterruhe: „Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler“

Um den gravierendsten Fehler, den Merkel während ihrer Kanzlerschaft eingesteht, zu finden, muss man sich bis Seite 692 ihres Werks durchkämpfen. Hier beschreibt sie nämlich die Planungspleite rund um die sogenannte „Osterruhe“ im Corona-Jahr 2021. In einem verzweifelten Versuch, die dritte Virus-Welle zu stoppen, hatte Merkel zusammen mit den Ministerpräsidenten eine Zwangspause für das ganze öffentliche Leben beschlossen.

Das Ergebnis: Chaos rund um Lieferketten und drohende Lohnausfälle. „Bundestagskollegen erklärten Helge Braun und mir, dass wir vom realen Leben keine Ahnung hätten“, schreibt Merkel dazu. Nach einer schlaflosen Nacht habe sie dann beschlossen: „Das geht nicht.“ In einer öffentlichen TV-Ansprache gestand sie: „Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler; am Ende trage ich die letzte Verantwortung.“

Trotzdem –eine Lebensbeichte nimmt Merkel mit ihren Memoiren nicht vor. Im Gegenteil, aus ihrer Sicht gibt es an der Geschichte ihrer Kanzlerjahre offenbar nichts, was es umzuschreiben gilt. Bei den wirklich großen Fehlentwicklungen, die viele ihr ankreiden - wie der Überlastung des Sozialsystems durch die Flüchtlingspolitik oder dem Nicht-Eindämmen des Aufstiegs der extremen Rechten - weicht sie aus.

Das Wort „Fehler“ kommt in Merkels Buch 27 Mal vor - zwei Stellen sind entscheidend (2024)

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